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Allgemein Nutztierdasein

Du Schwein, ich Hund – ein Märchen

Schweinchen war schon immer irgendwie anders, als die anderen. Schweinchen machte sich viele Gedanken. Schweinchen konnte auch mit offenen Augen träumen. Und Schweinchen war interessiert und neugierig. Schweinchen lebte mit vielen, sehr vielen anderen in einem Stall. Es war aber nicht so ein Stall, wie wir uns einen Stall vorstellen. Es war eher wie eine Fabrik. Wenn hin und wieder die Sonne durch die schmalen Fenster schien, wünschte sich Schweinchen, einmal durch ein solches Fenster nach draussen blicken zu können. Aber die Fenster waren in der Höhe. Wenn ich grösser wäre und wenn ich wie der Bauer auf die Hinterbeine stehen könnte, sähe ich vielleicht durch das Fenster. Wie sieht es wohl da draussen aus? Wenn Schweinchen den anderen diese Frage stellte, bekam es zur Antwort „interessiert mich nicht“, „ist nicht wichtig“, „muss ich nicht wissen“. Aber Schweinchen liess diese Frage keine Ruhe. Mit einer ihrer Schwestern hatte es Schweinchen besonders gut. Diese hörte wenigstens zu, wenn Schweinchen von ihren Gedanken erzählte. Eines Tages fragte Schweinchen ihre Schwester, ob sie ihr einen Gefallen tue. „Du musst nur ganz nahe an die Wand stehen und ich steige dir auf den Rücken“. Schweinchen dachte, dass sie dann vielleicht nach draussen sehen könne. Schweinchen’s Schwester sagte wenigstens nicht zum vornherein nein. Aber sie verlangte, dass Schweinchen einen Teil ihres Fressens ihr überliess. Und dann in einigen Tagen können sie es ja mal versuchen. Fortan teilte Schweinchen ihr Futter mit der Schwester. Und jeden Tag fragte Schweinchen, ob sie’s jetzt versuchen könnten. Erst nach einer Woche war die Schwester dazu bereit. Sie stellte sich an die Wand unter dem Fenster und Schweinchen versuchte, ihr auf den Rücken zu steigen. Doch schon, als sie erst die Vorderbeine auf den Rücken der Schwester stellte, schrie diese, es täte ihr weh und so ginge das nicht und überhaupt sei dies eine blöde Idee und nicht durchführbar und unnütz. Am Abend, als sich die Schwester wieder etwas beruhigt hatte, fragte Schweinchen, ob sie nicht morgen nochmals einen weiteren Versuch machen könnten. Die Schwester wollte zuerst gar nichts davon wissen, willigte aber schlussendlich zu einem Kompromiss ein: eine Woche lang bekam die Schwester die ganze Futterration von Schweinchen und dann können sie es ja nochmals versuchen. Schweinchen war einverstanden. Einen Blick nach draussen werfen, war Schweinchen eine Fastenwoche wert. Während die anderen assen, träumte Schweinchen vor sich hin und freute sich auf das Ende dieser Woche. Während die Schwester von der  doppelten Futterration kugelrund wurde, magerte Schweinchen zusehends ab. Nach einer Woche war es endlich so weit. Die Schwester, welche nun gross und breit war, stellte sich an die Wand unter dem Fenster. Und Schweinchen, welche weniger schwer, als noch vor einer Woche war, fühlte sich zwar etwas schwach, aber die Aussicht, endlich einen Blick aus dem Fenster machen zu können, gaben ihr genügend Kraft um mit einem gewagten Gump direkt auf den Rücken der Schwester zu springen. Doch leider war das Fenster noch zu hoch. Schweinchen balancierte auf dem Rücken der Schwester und stellte sich auf die Hinterbeine. Wie ein Mensch stand Schweinchen nun auf ihrer Schwester und – welche Freude – konnte zum ersten Mal einen Blick durchs Fenster werfen. Doch nun befahl die Schwester sofort den Abbruch der Übung. Der Rücken täte ihr weh. Und die Schwester machte einen Schritt zur Seite und Schweinchen purzelte auf den Boden und blieb dort liegen. Die anderen Schweine meinten schon, sie sei tot oder mindestens schwer verletzt. Doch beim näher kommen sahen sie, dass Schweinchen einen ganz verklärten, glücklichen Blick hatte. Erst nach einer Weile stand Schweinchen auf und schaute zum Fenster. Nun wollten die anderen doch noch wissen, was es denn gesehen hatte. „Schön, grün, hell“, sagte Schweinchen. Doch genauere Beschreibungen konnte es nicht liefern. „Es ging alles zu schnell. Ich müsste länger oben bleiben können“, sagte Schweinchen. Wenn sie weiterhin das Futter vom Schweinchen bekomme, sei sie zu einer Wiederholung bereit – in drei Tagen, sagte die Schwester. Und sie hielt Wort. In drei Tagen wiederholten sie die Übung und Schweinchen durfte sogar etwas länger oben bleiben. Und wieder beim Hinuntersteigen hatte Schweinchen den träumerischen Blick und war lange nicht ansprechbar. „Am Abend dann“, vertröstete sie die neugierigen Fragenden.

Fortan stieg Schweinchen jeden Tag einmal auf die Schwester, schaute zum Fenster hinaus und am Abend versammelten sich viele Schweine um Schweinchen und hörten deren Erzählungen vom Leben ausserhalb des Schweinestalles zu. Schweinchen erzählte immer neue Sachen: dass manchmal ein Esel vor dem Fenster auf der Wiese sei, dass hinten ein Wald stehe und weit weg, unten im Tobel ein kleines Haus. Und vor diesem Haus, habe es ganz verschiedene Tiere.

Schweinchen sucht Gehilfen

Obwohl Schweinchen ihr Futter immer noch der Schwester abgab und dadurch viel kleiner war, als alle anderen, fühlte es  sich nicht krank. Im Gegenteil. Während die anderen den ganzen Tag nur schliefen, träumte Schweinchen mit offenen Augen von einem Leben ausserhalb des Stalles. Wir müssen aus diesem Stall ausbrechen, sagte Schweinchen zu den anderen, als es ihnen wieder einmal am Abend von Wiesen, Hecken, Wäldern und Bergen erzählte. „Hat es denn draussen auch Futtertröge“, fragten die anderen. „Ist es dort nicht gefährlich?“ „Wo geht es denn hinaus?“

Schweinchen war schlau. Schweinchen hat beobachtet, wie der Bauer jeden Morgen in den Stall kommt, zusammen mit dem Hund. Sie kommen zur Metalltüre herein, der Bauer bereitet das Futter vor und wenn er gefüttert hat, macht er den Stallrundgang. Dazu muss er eine zweite Gittertüre öffnen. Während dem Rundgang lässt er sie offen. Die Schweine sind während dieser Zeit alle am Essen. Schweinchen versteckt sich jeweils hinter der grossen Schwester. Schweinchen weiss nicht wieso es sich vor dem Bauern versteckt, aber es hat so ein Gefühl, dass das besser sei. Einmal aber, der Bauer war an der hintersten Ecke, kam Bari, der Hund direkt zu Schweinchen. Schweinchen hatte keine Angst vor Bari. Bari kommt ja jeden Tag mit dem Bauer. „Du Bari“, sagte Schweinchen, „warum darfst Du auch draussen sein und wir nicht?“ „Du Schwein, ich Hund“, sagte Bari. „Ich weiss“, sagte Schweinchen „aber warum dürfen wir nicht draussen sein?“ „Eben. Du Schwein, ich Hund. Es ist nun mal so“. Schon pfiff der Bauer dem Bari und sie verlassen den Stall. Am nächsten Tag suchte Schweinchen wieder den Kontakt zu Bari. „Bari“, sagte Schweinchen, „Du hast Augen wie ich, hast Ohren wie ich, ein Maul, einen Schwanz, vier Beine. Wir sehen uns doch ähnlich. Warum dürfen wir nicht auch frei herum laufen wie Du?“ Bari erwiderte leicht genervt: „Hör mal auf mit der Fragerei. Ich habe dir schon gesagt, Du Schwein, ich Hund. Pech für dich. So ist es halt nun einmal. Und lass mich einfach in Ruhe.“ Schweinchen wusste, dass es von Bari keine Hilfe erwarten könne. Doch bereits am Nachmittag, beim Blick durchs Fenster, hatte Schweinchen eine neue Idee. Wieder war der Esel auf der Wiese und dieses Mal stand er ganz nahe am Fenster. Schweinchen winkte dem Esel und versuchte ihm, die gleiche Frage zu stellen, wie dem Bari. Warum darf der Esel auf der Weide sein und ich nicht. Doch der Esel verstand die Frage nicht, da das Fenster zu dick war. Er konnte aber Schweinchen sehen und hatte seine Freude am lustigen Gesicht von Schweinchen. Am nächsten Tag war er darum wieder vor dem Fenster, als Schweinchen nach draussen blickte. Dieses Mal versuchte es Schweinchen mit Zeichensprache. Ich will zu Dir hinauskommen! Hilf mir bitte! Dem Esel gefiel Schweinchen und so beschloss der Esel, er wolle Schweinchen in ihrem Haus besuchen. Am nächsten Morgen passte der Esel den Bauern ab, als dieser zum Schweinestall schritt. Er beschloss, einfach hinter Bari ins Haus zu marschieren. Der Bauer öffnete die Türe und als er mit Bari in den Schweinestall ging, drängte der Esel auch zur Türe. Aber oha! Als der Bauer das sah, schimpfte er mit dem Esel. Was denn das soll. Er solle verschwinden. Und dann sagte er noch „du dummer Esel“. Das hörte der Esel gar nicht gerne und es entsprach ja auch nicht der Wahrheit. Im Gegenteil. Der Esel war ja eigentlich klug und hatte ja auch eine gute Idee gehabt, die aber leider nicht funktionierte. Am Nachmittag zeigte er dem Schweinchen durch das Fenster mit einem Schulterzucken, dass er leider nicht helfen könne. Schweinchen machte das zwar traurig, aber umso mehr festigte es den Plan, dass man irgendwie aus diesem Stall hinauskommen müsse.

Abschied von der Schwester

An diesem Abend warteten wieder viele Schweine auf die Erzählungen von Schweinchen über das Leben draussen. Schweinchen erzählte heute  von den vielen verschieden farbigen Blumen und auch vom Regen, der die ganze Wiese nass machte und vom Esel, der so einfach eine Gratisdusche erhielt. Andächtig hörten die Schweine zu. Besonders das mit der Dusche faszinierte die Schweine. Wasser, welches von oben kommt, einfach so. Die Erzählungen haben ihnen so gefallen, dass sie nun beschlossen haben, dass jeder von seinem Futter ein klein wenig abgeben soll, damit Schweinchen fortan nicht mehr hungern müsse. Schweinchen war ja viel kleiner und magerer, als all die anderen. Am fettesten war die liebe Schwester. Aber die brauchte ja auch Standfestigkeit, wenn Schweinchen jeden Nachmittag einmal auf ihren Rücken sprang. Schweinchen dankte für das Futter, nahm sich aber vor, nur soviel zu essen wie nötig. Es wollte gar nicht so fett werden, wie die anderen. Am nächsten Morgen geschah etwas Unerwartetes: Der Bauer kam in Begleitung eines anderen Mannes in den Stall. Sofort versteckte sich Schweinchen wieder zwischen zwei liegenden Schweinen und duckte sich, damit es nicht gesehen wurde. Die beiden Männer schauten all die Schweine an und plötzlich zeigte der zweite Mann auf die Schwester von Schweinchen. „Die muss raus, die wird zu fett“, sagte der Mann. Tatsächlich. Schon am Nachmittag, als Schweinchen gerade wieder auf der Schwester stehend zum Fenster hinaus sah, kam ein Auto mit Anhänger vor den Stall. Schnell stieg Schweinchen von der Schwester hinunter und versteckte sich. Der Bauer kam mit einem anderen Mann in den Stall, überblickte all die vielen Schweine, sah die Schwester, welche immer noch unter dem Fenster stand, sagte „die da“ und dann ging alles ganz schnell. Die Schwester wurde gepackt und bevor alle begriffen haben, was da vor sich ging, war Schwester weg. An diesem Abend konnte Schweinchen nur wenig erzählen. Aber immerhin von einem Auto und einem Anhänger. Und Schweinchen war klar, dass es fortan nicht mehr aus dem Fenster blicken konnte.

Der Ausbruch

Wir müssen hier raus, bevor wir alle geholt werden, sagte Schweinchen. Und es malte den anderen Schweinen in den tollsten Farben aus, wie schön das Leben draussen wäre und es vergass auch nicht, wieder die automatische Dusche, also den Regen zu erwähnen, da dies den Schweinen so sehr gefallen hat. Aber wie sollen wir denn da hinauskommen, fragten die Schweine. Ihr müsst nur fest daran glauben, dann wird es uns schon gelingen. Wenn alle dieses Ziel, diesen Wunsch haben, wird es eine Gelegenheit geben, sagte Schweinchen. Wie genau wusste zwar Schweinchen auch nicht.

Schweinchen träumte weiterhin von einem Leben draussen. Etwas enttäuscht war es schon, als eines der Schweine sagte: wenn Du nie zum Fenster hinaus gesehen hättest, wüsstest Du auch nicht, wie es draussen ist und dann wärst Du zufriedener, als Du jetzt bist.  Nein, sagte Schweinchen, ich habe immer gewusst, dass es noch ein anderes Leben gibt, als hier in dieser Halle. Ihr habt einfach verlernt zu träumen. Und wir werden unser Ziel erreichen!

Schon zwei Tage später kam dazu die Gelegenheit. Schweinchen wartete in der Nähe der Türe auf den Besuch des Bauern und Bari. Zuerst ging alles den gewohnten Lauf. Der Bauer kam mit Bari zur Tür herein und bereitete das Futter vor. Dann öffnete er die zweite Tür und machte den Stallrundgang. Und dann klingelte sein Telefon. Doch der Bauer hörte neben den schmatzenden Schweinen zuwenig und ging im Eilschritt nach draussen. Bari hintennach. Und die beiden Türen blieben offen. Nur Schweinchen hat dies bemerkt. Die anderen waren mit Essen beschäftigt. Jetzt oder nie, dachte Schweinchen. „Alle hinaus“, schrie Schweinchen. „Kommt, mir nach!“ Und schon stürmte Schweinchen ins Freie. Jene, welche in der Nähe waren, folgten Schweinchen nach draussen. Aber nicht alle. Einigen war das Futter wichtiger. Aber sicher gegen zwanzig Schweine sprangen zur Tür hinaus. Schon bemerkte der Bauer seinen Fehler und er wies Bari an, die Schweine zurück zu treiben. Schweinchen aber sprang so schnell es konnte weg. Es sah wohl, dass die anderen nicht so schnell rennen konnten, wollte ihnen noch helfen, aber schon kreiste der Hund um die Schweine und Schweinchen sah, dass die anderen viel zu dick waren und schon nach einigen Metern einfach stehen blieben. Schon hat Bari alle Schweine zurück getrieben und der Bauer hat die Türe geschlossen. Nun war nur noch Schweinchen draussen. Zügig sprang es weiter über die Wiese. Aber Bari hat dies schon bemerkt und begann nun, Schweinchen zu verfolgen. Bari war schneller als Schweinchen und es schien, als müsse Schweinchen aufgeben. Wie durch ein Wunder kam nun Hilfe aus der anderen Richtung. Der Esel erkannte das Schweinchen und erkannte auch die brenzlige Situation. Er stellte sich Bari in den Weg und drohte ihm mit seinen Hufen. „Bari“, rief der Esel, „lass doch diesen Winzling. Er ist sowieso viel zu mager“. „Stimmt eigentlich“, sagte Bari und trat den Rückweg an. Schweinchen war schon beim Weidezaun und schlüpfte eben unter dem Holzzaun durch, als es stoppte und kurz zurückblickte. Am Zaun stand der Esel. Sie schauten sich an und Schweinchen sagte „Danke“. Und der Esel sagte „Gern geschehen, viel Glück!“.

Erst jetzt konnte Schweinchen etwas ausruhen und erst jetzt realisierte es, was passiert war. Es war draussen! Es war in der Freiheit. Und: es war noch viel schöner, als es sich das immer und immer wieder vorgestellt hat. Der Boden war so weich. Und die Blumen dufteten. Und die feuchte Erde. Und der Wind. Schweinchen war dankbar und glücklich. Und Schweinchen quietschte vor Freude.

Schweinchen bekommt einen Namen

Und jetzt? Was nun, dachte Schweinchen. Wohin soll ich nun gehen. Da kam Schweinchen das entfernte Haus in den Sinn. Das Haus unten im Tobel, wo es draussen einige Tiere hatte. Also machte es sich auf den Weg, die Wiese hinunter. Und schon bald sah es das Haus. Und auf halber Strecke stand eine Kuh. Schweinchen hatte noch nie eine Kuh gesehen. Es war Schweinchen nicht ganz geheuer, denn die Kuh war gross und hatte Hörner. Nur langsam näherte sich Schweinchen der Kuh. Als diese Schweinchen bemerkte, hörte sie mit Fressen auf und sagte ganz freundlich: „Hallo Kleiner, wer bist denn du, wo kommst du her, wohin gehst du?“. Schweinchen antwortete, es sei Schweinchen und eben aus dem Stall ausgebrochen. „Ich sehe schon, dass du ein Schwein bist, aber wie heisst du denn“, fragte die Kuh. „Ich habe keinen Namen“, antwortete Schweinchen. „Aber der Bauer hat dir doch sicher einen Namen gegeben?“ „Nein, ich habe keinen Namen. Der Hund hatte einen Namen und der Esel glaub auch. Aber wir Schweine hatten keine Namen. Wir waren ja soviele!“ „Bei uns hier haben alle einen Namen; der Bauer und die Frau, die Kinder, die Katzen, sogar die Hühner und auch alle anderen. Ich heisse Viola. Doch sage mir nun, wohin du denn nun wandern willst“. „Ich weiss es nicht“, sagte Schweinchen. „Ja dann komm doch zu uns. Die anderen haben sicher Freude und vor allem die Kinder. Die sind unsere Freunde“. „Meinst Du? Würdest Du mich aber begleiten? Ich getraue mich nicht allein.“ Die Kuh Viola machte sich auf den Weg zum Haus und Schweinchen trabte hinterher. Sie kamen an einem Zaun vorbei und dahinter war ein wundervoller Garten mit Gemüse, Beeren und Blumen. „Da dürfen wir nicht hinein“, sagte Viola. „Das ist der Garten der Bauersfrau“. Neben dem Garten stand ein grosser Baum, an dem eine Schaukel aufgehängt war. Ein kleines Mädchen mit langen blonden Haaren war auf der Schaukel und sang ein Lied. „Das Mädchen heisst Tamara“, sagte Viola. Als Tamara Viola und Schweinchen erblickte, sprang sie von der Schaukel und näherte sich den beiden. Schweinchen hatte etwas Angst, aber Viola sprach ihr Mut zu. Ganz sachte näherte sich Tamara dem Schweinchen und begann ganz lieb mit Schweinchen zu sprechen. Tamara erklärte Schweinchen, es soll unbedingt hier bleiben. Sie hole nur schnell ihren Bruder und etwas Futter. Und schon sprang sie zum Haus und rief schon von weitem ihrem Bruder Ramon. Kurze Zeit später kamen Tamara und Ramon zu Schweinchen zurück. Sie stellten eine Schüssel vor Schweinchen. Darin waren ein Stück Brot, ein Apfel und einige Haferguetzli. Schweinchen hatte tatsächlich Hunger, aber es kannte diese Sachen nicht. Trotzdem schnupperte es daran – schmeckt gut – und probierte die Guetzli, nahm etwas Brot und versuchte auch, vom Apfel etwas abzubeissen. Während dieser Zeit diskutierten Tamara und Ramon schon, was für einen Namen sie Schweinchen geben sollten. Klara, Rosa und Susi standen am Schluss fest. Sie entschieden sich für Susi. Schweinchen war ganz stolz, dass es nun auch einen Namen hatte. Sofort eilte sie zu Viola und berichtete ihr die Neuigkeit. „Hallo Viola, darf ich mich vorstellen? Ich heisse Susi“. „Willkommen bei uns, Susi“, entgegnete Viola.

Das neue Heim

Tamara und Ramon freuten sich, dass Susi so zutraulich war. Und zum ersten Mal in ihrem Leben wurde Susi gestreichelt. Susi wurde es ganz warm. Es spürte, dass dies Liebe ist. Zum ersten Mal wurde Susi geliebt. Natürlich hatten sie ja die anderen Schweine im grossen Stall auch gerne, vor allem wegen den schönen Geschichten am Abend. Aber so geliebt und sogar noch gestreichelt, wurde Susi noch nie. Sie legte sich auf den Rücken und die Kinder massierten ihr kleines Bäuchlein. Ach wie bin ich glücklich, dachte Susi. Und dann musste sie an die anderen Schweine im grossen Stall denken, die das nicht erleben durften. Und das machte Susi wieder etwas traurig. Unterdessen kam die Mutter der Kinder hinzu und staunte über den Neuankömmling. „Gell, wir dürfen Susi behalten. Schau, wie zutraulich, wie drollig, wie lieb!“. Die Mutter versprach den Kindern, dass Susi vorerst hier bleiben kann. Aber wenn sich der Besitzer meldet, müssen wir Susi zurückgeben, erklärte die Mutter. Und nun wollten die Kinder Susi einsperren, damit sie nicht wegläuft. Die Mutter erklärte aber den Kindern, dass sie das nicht tun dürfen. „Wenn es Susi hier gefällt, bleibt sie von selber hier. Lasst ihr die Freiheit und die Entscheidung“. Das fiel den Kindern zwar schwer und darum brachten sie noch weitere Köstlichkeiten in die Nähe: Rüebli, Haferflöckli, Milch und sogar etwas Schokolade.  Susi aber hatte keinen Hunger mehr und dachte ohnehin nicht an das Weglaufen. Hier waren alle so nett. Und die Kinder begannen, im Schöpfli ein Nachtlager für Susi einzurichten. In dieser Zeit kam die Katze, um die neue Bewohnerin zu begrüssen. „Hallo“, sagte die Katze. „Ich bin Kater Karlo und wer bist Du, woher kommst Du, was willst Du hier, wie lange bleibst Du, erzähl mal“. Das waren viele Fragen und Susi erzählte Kater Karlo und Viola aus ihrem Leben. Vom Stall mit den vielen Schweinen, von ihren Träumen, von den Blicken aus dem Fenster und vom Ausbruch aus dem Gefängnis. „Ups“, sagte Kater Karlo, „das ist happig. Schön, dass Du da bist“. Am Abend musste Susi die ganze Geschichte nochmals erzählen, denn dann waren auch die Hühner, Enten und Gänse da. Und alle freuten sich mit Susi über den gelungenen Ausbruch. Und spät am Abend  kam auch Fiona, die Hündin zu Susi. Fiona war mit dem Meister den ganzen Tag unterwegs gewesen. Der Meister hatte die Geschichte von seinen Kindern gehört und kam, um Susi zu begrüssen. Und Fiona wollte natürlich auch wissen, woher Susi kam. So musste sie ihre Erlebnisse zum dritten Mal erzählen. Als sie von Bari erzählte, wie der immer gesagt hat „Du Schwein, ich Hund“, musst Fiona lachen. Was soll dieser Unterschied? Bei uns hier sind alle gleich. „Wir sind alles Tiere und eigentlich sind auch die Menschen eine Art Tier, oder?“ Über diesen Satz studierte Susi, während sie im wunderbaren Strohbett friedlich einschlummerte.

Martin Grob

(gewidmet meinen Grosskindern)