Oder: wie man seine Freunde verlieren kann
Du bist bei Freunden zum Essen eingeladen. Es wird soeben aufgetischt, als Du vorschlägst, das Spiel „weiss ich, was ich esse“ zu machen. Bei den Rüebli scheint noch alles klar zu sein. Die wachsen in der Erde, unterirdisch sozusagen, wie die Kartoffeln. Bohnen: da gibt es doch Buschbohnen und Stangenbohnen. Aber wo kommen sie her? Jetzt im Winter? Deklarationspflicht sei Dank. Auf der Packung steht Südafrika. Ups. Und wie sind wohl diese Bohnen gereist? Mit dem Flugzeug? Bei den Nudeln wird die Sache schon komplizierter. Nudeln wachsen nicht als Nudeln. Sie sind ein Produkt aus? Auf der Packung steht: Eierteigwaren aus Hartweizengriess. Die Eier sind aus Bodenhaltung. Wissen alle denn was Bodenhaltung ist? Welcher Boden ist gemeint? Des Bauern Grund und Boden oder der Stallboden? Was ist der Unterschied zu Freiland? Was ist Griess? Weizen wächst auf dem Feld. Wie sieht Weizen aus? Wo wurde der Weizen angebaut? Auf der Nudelpackung steht: hergestellt in der Schweiz. Kein Wort, woher der Weizen stammt. Das Spiel ist amüsant. Wir merken, wie wenig wir über die Lebensmittel wissen, welche auf dem Tisch sind. Die Köchin verkompliziert das Spiel noch mit den Fragen über das Salz und über die Gewürze. Wenn jemand am Tisch sagt, dass Pfeffer aus Indien kommt, so glauben wir es ihm einfach. Und das Salz kommt doch tatsächlich aus der Schweiz. Wirklich? Meersalz? Nein, natürlich nicht das Meersalz.
Doch nun lenkst Du die Diskussion zum Fleisch. Ist es Rinds- oder Schweinefleisch? Es ist Schweinefleisch, bemerkt der Esser und die Köchin bestätigt. Wo lebte dieses Schwein? Auf der Packung stand „Schweizer Fleisch“. Aber wo genau? Du fragst, wie das Schwein wohl gelebt hat? Einer meint, so im Dreck und auf der Wiese. Wohl kaum. Das Fleisch wurde im Grossverteiler gekauft. Du outest dich als Fachmann und erklärst, dass dieses Schwein wohl nie im Freien, nie an der Sonne, nie… war. Stille in der Runde. Du gibst noch einen drauf und zückst ein Bild aus einer Schweinemast. Gefunden hast Du es entweder im Internet oder Du hast es aus den VgT-Nachrichten ausgeschnitten (www.vgt.ch). Spätestens hier folgt die Reaktion: das will ich alles gar nicht so genau wissen. Warum willst Du mir mein Essen verderben? Jetzt hatten wir es doch so schön und lustig.
Du erklärst: wenn man lieb und nett über Rüebli und Kopfsalat reden kann, sollte man doch auch genauso über das Fleisch sprechen können.
Du gibst wieder einen drauf: hast Du mal einen Salat auf einem Feld gesehen? Ja sicher. Hast Du schon einmal einem Schwein in die Augen gesehen? Nein. Könntest Du dieses Schwein drei Monate bei dir beherbergen und es anschliessend töten? Könntest Du es selber töten? Und nachher essen? So wie Du gerade jetzt dieses Schnitzel vertilgst?
Reaktion: Hör auf, sei still. Oder: der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen. Oder: Kannst du selber einem Salatkopf auf dem Feld in die Augen schauen und ihn nachher abschneiden?
Du darfst nun ruhig schweigen. Du hast genug ausgelöst. Freue dich auf das Dessert. Denn es könnte das letzte Mal sein, dass Du bei diesen Freunden eingeladen worden bist…
„Das will ich gar nicht so genau wissen“, ist mitverantwortlich, warum es den meisten Nutztieren in der Schweiz echt dreckig geht. Eigentlich weiss man, dass bei unserer Fleischproduktion vieles im Argen ist. Aber man will sich kein schlechtes Gewissen machen lassen. Sonst müsst man ja in der Konsequenz auf das Fleischessen verzichten. Nein, ich möchte gar nicht einem Schwein in die Augen sehen! Ich würde mich sonst selbst erkennen. Nie könnte ich meine geliebte Katze töten und essen. Und das Schwein ist uns Menschen verwandter als die Katze. Hat man da nicht sogar mal ein Schweineherz in einen Menschen transplantiert? Nein, ich möchte die Bilder aus der Schweinehaltung nicht sehen. Ich kann es nicht ertragen. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Das will ich aber nicht. Also: Themenwechsel! Wegschieben! Verdrängen!
Martin Grob