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Allgemein Mensch und Tier

Die dehnbare Ethik

Mein Vater sagte: „Du darfst nie ein Tier quälen. Nie!“ Worauf fusste dieses Gebot? Mein Vater war nicht besonders religiös, arbeitete bei der Eisenbahn, pflegte in der Freizeit einen grossen Garten und liebte Spaziergänge in der weiten Natur. Es war für ihn einfach klar, dass man Tiere nicht quälen darf. „Das ist einfach so!“  Man darf das einfach nicht! Es war somit Teil seiner eigenen ethischen Einstellung. Sigmund Freud würde sagen, dass dieser Satz aus seinem Über-Ich stammte.

Und bei Tierversuchen?

Bei Tierversuchen werden Tiere gequält. Ganz klar. Da werden Mäuse dazu gebracht, dass sie z.B. Krebs bekommen, um dann anschliessend bei ihnen in neues Krebsmedikament auf seine Wirksamkeit zu testen. Mäuse in Labors zu halten, ist Quälen. Mäuse künstlich krank zu machen, ist Quälen. An Mäusen ein Medikament zu testen und sie daran sterben zu lassen oder bei Erfolg anschliessend zu euthanisieren oder für einen weiteren Versuch bereit zu halten, ist Quälen.

Die Frage ist: Rechtfertigt sich das Opfern von Tieren, um für den Menschen ein neues Medikament zu entwickeln? Ich gehe hier bewusst nicht darauf ein, ob man überhaupt die Testergebnisse von Mäusen auf Menschen übertragen kann. Ich gehe auch nicht darauf ein, ob es alternative Testmöglichkeiten gibt.  Mich interessiert jetzt mal die Ethik.

Was hülfe es dem Menschen…

In meinen Kopf springt mir ein Zitat von Martin Luther:  „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele?“  Tiere quälen, schadet der Seele! Da bin ich überzeugt. Das Zitat abgewandelt würde heissen: Was hülfe es dem Menschen, wenn er ein neues Krebsmedikament gefunden hätte und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Ohne das Krebsmedikament nähme möglicherweise der Körper des Krebspatienten Schaden. Möglicherweise würde der Patient sterben.

Körper und Seele

Das führt uns automatisch zur Frage, was denn wichtiger ist. Der Körper oder die Seele. Was passiert mit dem Körper nach dem Tode? Er zerfällt, wird Asche. Was passiert mit der Seele nach dem Tode? Sie lebt weiter!

Die seelische Gesundheit

Das würde doch eigentlich heissen, dass wir zur seelischen Gesundheit eminent Sorge tragen müssten. Eigentlich mehr, als zur körperlichen Gesundheit. Dass wir zur seelischen Gesundheit achtgeben können, bedingt aber ein gewisses Wissen, was denn für die Seele gut ist. Beim Körper haben wir viele Parameter: Blutdruck, Puls, Blutzucker, Gewicht, Verdauungstätigkeit, Herzfrequenz… Bei der Seele wären das wohl eben die ethischen Werte, wie das eingangs erwähnte „Quäle keine Tiere“. Können Sie noch weitere solche Leitsätze aufzählen? Verfallen Sie aber nicht einfach auf das Rezitieren der Bergpredigt: Du sollst nicht…

Unterstützend für die seelische Gesundheit müssten eigentlich die Kirchen sein, oder? Die Kirchen müssten doch den Leitsatz „Quäle keine Tiere“ unterschreiben können.

Abstimmung Tier- und Menschenversuchsverbot

Am 13. Februar dürfen wir Schweizer darüber abstimmen, ob wir in unserem Land weiterhin Tierversuche tolerieren wollen. Ich bin gespannt, wie sich die Kirche zu dieser Frage äussert.  Und wir? Ich mache ja selber keine Tierversuche, also quäle ich auch keine Tiere! Eine etwas billige Ausrede. Bei dieser Abstimmung hätten wir es in der Hand zu sagen, dass wir dies nicht wollen. Dass uns ethische Grundwerte wichtig sind. Wir können vielleicht die von der Wissenschaft und von der Pharma vorgebrachten Argumente nicht auf der gleichen Ebene entkräften. Müssen wir auch nicht. Eigentlich genügt ein: DAS DARF MAN EINFACH NICHT! Oder wie mein Vater sagte: Das ist einfach so!

So klar ist es aber nicht allen. Die EVP (Evangelische Volkspartei) hat die Nein-Parole gefasst. Genau so hat der Nationalrat und der Ständerat mit keiner einzigen Gegenstimme die Nein-Parole proklamiert. Niemand hatte anscheinend den Mut zu sagen: Aber das darf man einfach nicht!

Massentierhaltungsinitiative

Auf der gleichen Ebene liegt auch die Massentierhaltungsinitiative: Massentierhaltung ist ethisch verwerflich. So darf man mit Tieren einfach nicht umgehen. DAS DARF MAN EINFACH NICHT! Punkt. Ohne Wenn und Aber.

Ethik ist dehnbar

Im Tagblatt vom 12. Januar 2022 wird darüber berichtet, dass in den USA einem Patienten ein Schweineherz eingepflanzt worden ist. Der Direktor von Swisstransplant, Franz Immer, wird gefragt, ob er aus ethischen Gründen ein Problem sehe. Seine Antwort: „Es ist sicherlich eine ethisch kontroverse Diskussion, ob und inwieweit höhere Säugetiere Organlieferanten für Menschen sein sollen. Wenn man aber bedenkt, dass das Schwein ein Nutztier ist, ist der Benefit eines transplantierten Schweineherzens durchaus legitim.“

Ethik ist dehnbar. Tier ist nicht gleich Tier. Und Nutztiere sind zum Nutzen und Ausnützen da.

Erstaunt hat mich auch die Äusserung des Bauernverbandes zur Massentierhaltungsinitiative: In der Schweiz gibt es keine Massentierhaltung. Schliesslich sind schon heute Höchstbestände pro Betrieb definiert. Bei Legehennen z.B. bei  18‘000. Für mich sind 18‘000 eine Masse!

Ethik ist dehnbar. Der Schweizer Tierschutz STS will die Tiere, namentlich Nutztiere und Labortiere nicht konsequent schützen. Er biegt schon seit Jahren den Begriff „Tierschutz = Schutz der Tiere“ auf unerträgliche Weise zurecht und verrät damit alle Tiere, die er zu schützen vorgibt. Kommentar des STS zur kommenden Abstimmung:

Der Schweizer Tierschutz STS vertritt die Ansicht, dass eine tierversuchsfreie Entwicklung humanrelevanter Forschung nicht mit rückschrittlichen Forderungen möglich sein wird. Vielmehr sieht er die Zukunft in einer innovativen Forschung – ohne Tierleid und Tierverschwendung – als Basis für mehr Qualität und Aussagekraft für den Menschen und seine Gesundheit.

Schön formuliert, aber eigentlich nur Blabla. Ein sich Winden vor klaren Aussagen. Der STS unterstützt die Initiative nicht. Der Tierschutz unterstützt auch die Massentierhaltungsinitiative nicht.

Fazit

Der Schweizerische Tierschutz schützt die Tiere nicht kompromisslos und konsequent. Die Kirche fördert die ethische Einstellung „Quäle keine Tiere“ auf keine Weise. Die Tiere, allen voran die Nutztiere und die Labortiere haben bei den Menschen viel zu wenig Fürsprecher. Ich vermute, dass ethische Grundsätze heute nicht mehr so hoch im Kurs sind. Ethische Bedenken werden weggewischt mit den schlagkräftigen Phrasen „das schadet unserem Wirtschaftsstandort“, „das vernichtet Arbeitsplätze“, „das ist zu extrem, zu einseitig“.

Da bleibt mir nur zu sagen: was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele!