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Mensch und Tier

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral (Bertold Brecht)

Bei der Frage, warum eine Mehrheit der Bevölkerung zumindest gleichgültig gegenüber dem Leid von Nutz- und Labortieren ist, bin ich auf dieses Zitat von Bertold Brecht aus der Dreigroschenoper gestossen. Es stammt aus dem Jahre 1928. Moral, Ethik, Spiritualität spielen für die Mehrheit heute, so denke ich,  eine untergeordnete Rolle. Selbst die Kirche zieht es vor, ethische Grundhaltungen zu verwässern oder Grundsatzdiskussionen aus dem Wege zu gehen, um nicht noch mehr Mitglieder zu verlieren. Christa Blanke, deutsche Theologin und Tierschützerin, *1948 sagte:

„Vor 130 Jahren hat die Kirche geschwiegen, weil es nur Schwarze waren. Vor 60 Jahren hat die Kirche geschwiegen, weil es nur Juden waren. Heute schweigt die Kirche, weil es nur Tiere sind.“ 

Es stimmt mich sehr traurig, dass sich die Repräsentanten der christlichen Lehren nicht wagen, sich für die Tiere einzusetzen.

Mir ist nun klar geworden: Wenn ich glaube, dass nach dem Tode alles vorbei ist und eine Wiedergeburt sowieso Humbug ist, so kann ich mich leichter über mein Gewissen hinwegsetzen. Meine sich im Hintergrund befindlichen moralischen Bedenken, wische ich beiseite und übertölple oder ignoriere sie. So lässt es sich viel ungenierter leben. „ Ja, ich weiss von den Tierfabriken, aber ich habe Fleisch einfach zu gerne!“ Punkt. Fertig.

„Wir Menschen haben die Fähigkeit, Tierleid dort gezielt auszublenden, wo es uns zugutekommt“. Dieses Zitat von Hanno Würbel, Professor für Tierschutz habe ich aus dem Beobachter-Artikel über Tierversuche „Fortschritt oder gutes Gewissen“ (Beobachter 18/2021) entnommen.   „Ja, ich weiss, dass Labortiere systematisch gequält werden, aber Forschung muss halt sein!“ Punkt. Fertig.

In einem Artikel in der Appenzeller Zeitung – es war eine Reportage über Hofschlachtungen – wurde ein Bauer zitiert. Er sagte, dass er den Kühen keine Namen gebe, die Bindung werde sonst zu stark… Interessante Äusserung. Ich liebe meine Tiere, mir ist das Tierwohl wichtig, aber ich möchte keine starke Bindung, da ich sie sonst nicht mehr töten könnte. Ein typischer Fall von Verdrängung der eigenen ethischen Bedenken.

Ich bin überzeugt, dass wir nach dem Tode, nach dem Ablegen unseres Körpers in einer anderen Form weiterleben und ich glaube auch, dass wir für unser Verhalten im jetzigen Leben Rechenschaft ablegen müssen (oder dürfen). Es würde sich somit „auszahlen“, wenn wir unserer inneren Stimme vermehrt Platz geben würden, auch wenn wir dafür ein wenig auf Annehmlichkeiten oder Gelüsten verzichten müssten. Aber auch unser jetziges Leben erfährt eine Aufwertung, wenn mein Handeln vermehrt kongruent mit meinem Gewissen ausgerichtet ist. Oder ist es nach jahrelangem Verdrängen bereits so weit, dass ich mein Gewissen gar nicht mehr spüre?